| Portrait Georg Thoma | 
Copyright, Text, Fotos: Herbert Steffny
"Der
letzte Schwarzwald-Kenianer" 
Olympiasieger
Georg Thoma zu seinem 70. Geburtstag
(20.8.2007)
| Kunstrasen oder natürliche Bergwiese? "Das ist doch keine natürliche Blumenwiese!" empört sich Georg Thoma über die Bildauswahl für das Touristenprospekt seiner Heimatgemeinde Hinterzarten im Hochschwarzwald! Auf der Titelseite ist unter dem markanten Zwiebelturm der Dorfkirche eine große Wiese zu sehen, die im leuchtenden Gelb des blühenden Löwenzahnmeers erstrahlt. "Das ist ein gelb gefleckter Kunstrasen, aber keine Wiese, und schon gar keine der wirklich bunten, vielfältigen Bergwiesen wie im Naturschutzgebiet am Feldberg." Als Biologe, der früher auch im Natur- und Biotopschutz gearbeitet hat, muss ich Georg sofort recht geben. "Pissblumen" heißen die Löwenzähne bei mir zuhause in Trier. In der Tat der Inbegriff einer überdüngten Wiese. Der Designer der Broschüre hat es bestimmt gut gemeint, aber wohl zu wenig Ahnung von echter Natur, die für den Naturpark Südschwarzwald eigentlich repräsentativer wäre. Der Naturbursche Georg Thoma kennt sich da wirklich besser aus, und das nicht ohne Grund. |  Georg Thoma beim Festakt in Hinterzarten (Foto: Herbert Steffny) | 
| Fitness aus Notwendigkeit Aufgewachsen
        ist Georg ganz weit und einsam draußen unterhalb des
        Feldbergs auf dem Wunderlehof. Es waren arme Zeiten
        während und nach dem Krieg. Sein Vater konnte alle
        sieben Kinder nicht durchfüttern und so musste sich der
        kleine Georg seinen Lebensunterhalt als Hütejunge selbst
        verdienen und diesen Wunderlehof alleine bewirtschaften.
        Die Männer waren gefallen, noch im Krieg oder in
        Gefangenschaft. Kinder und Jugendliche mussten daher
        frühzeitig Verantwortung übernehmen. Fitness war für
        Thoma eine Notwendigkeit, so wie heute noch für den
        kenianischen oder äthiopischen Nachwuchs. Kinder von
        Ackerbauern oder Hirtennomaden. Der Schulweg nach
        Hinterzarten betrug viele Kilometer, die er barfuss oder
        im Winter auf einfachsten und schweren Skiern
        zurücklegte. Das wäre heute angesichts von Mamataxi
        undenkbar und den armen Kinderchen jetzt wohl kaum mehr
        zumutbar. Man hat ja bei einer Rolle vorwärts schon beim
        Einschulungstest seine Mühe... |  Georg Thoma als Jugendlicher 
 | 
| Mit Mistfüßen aus dem Hotel geworfen Georg Thoma,
        ein Hirtennomade, Jäger und Sammler. Aber nicht nur zur
        Schule, sondern auch zum Verkauf von selbst gesammelten
        Beeren und Pilzen begab sich der kleine Georg auf den
        langen Weg zu den Hotels oder Gasthöfen der
        Südschwarzwaldgemeinde. Wie karg die Zeiten waren, kann
        man aus den Schilderungen des von seiner Mutter liebevoll
        "Jörgli" genannten Thoma herauslesen. War es
        kalt draußen, so musste der Hirtenbub für Abhilfe
        sorgen, indem er seine Füße in die finale, aber warme
        Hinterlassenschaft des Verdauungsprozesses einer Kuh
        stellte. Mit solchen "Mistfüßen" wollte er
        einmal im renommierten heutigen 5-Sterne "Parkhotel
        Adler" seine Waldpilze anbieten und verkaufen, um
        sich ein Paar neue Skier zu verdienen. Man verwies den
        kleinen Stinker natürlich sofort des Hauses. Aber Georg
        war beharrlich und hatte andere Qualitäten. Er wurde als
        Hütejunge, Waldbursche und Holzfäller so fit, dass er
        sich auch sportlich über regionale Wettkämpfe bis zur
        Olympiaqualifikation hocharbeiten konnte. Mit 16 Jahren
        wurde er erstmals Deutscher Jugendmeister. Der Lohn für
        einen Sieg war damals ein Butterbrot oder ein
        Wollpullover, den er doch so arg brauchte, erinnert sich
        Georg und meint, dass sie vielleicht damals als Sportler
        die bessere Zeit hatten. Heute sieht er die Athleten zwar
        gut bezahlt, aber doch von Medien und Managern getrieben
        und durch Verträge geknebelt. "Wir hatten
        Kameradschaft und waren froh etwas von der Welt zu
        sehen." Eine Reise in die USA soll damals soviel wie
        ein VW-Käfer gekostet haben.1960 als er mit seinem
        überraschenden Nordischen Kombinations-Olympiasieg in
        Squaw Valley / USA zum Aushängeschild von Deutschland
        und Hinterzarten wurde und die Wintersport- und
        Skispringertradition der Gemeinde begründete, fand nicht
        nur ein Empfang vor 20.000 Menschen auf der Festwiese
        (jawohl, die mit dem Löwenzahn!), sondern anschließend
        auch ein Feierakt mit allen wichtigen Politikern,
        Funktionären und Honoratioren statt. Schauplatz: wieder
        das Parkhotel Adler..... "Nein, ich wollte erst
        nicht. Ich habe mir damals als Bub geschworen dort nie
        mehr reinzugehen!" soll sich Georg anfangs noch
        gesträubt haben, aber der Bürgermeister, der
        Programmablauf und das Zeremoniell brauchten ihn da
        drinnen.... |  | 
| Nichts
        war mehr wie vorher Der Erfolg hat seine eigenen Gesetze an die sich Georg Thoma, der scheue Hütejunge aus dem Wald bis heute nur schwer gewöhnen konnte. Auf einen Schlag war für ihn nichts mehr wie vorher. Schon in den USA sollte der des Englischen natürlich vollkommen unkundige 22-jährige Thoma, der gemäß Karl May Buch in "Squaw Valley" eher noch Indianerfrauen hinter den Bäumen vermutete, im Fernsehen eingepfercht zwischen Mister Universum und der damaligen Sexbombe Jane Mansfield Auskunft über seine Heimat geben. Georg sollte beispielsweise erklären, wo denn nun dieser "black forest" alias Schwarzwald liege und ob denn da auch Menschen leben würden.... "So zwischen Bodensee und Karlsruhe" ließ Thoma nach seiner Schilderung mühsam, schüchtern und leise, aber mit artiger Präzision dolmetschen. Einem geografisch und kulturell unkundigen amerikanischem Durchschnittspublikum hätte wohl auch die Information "mitten in Europa" gereicht. Man mutmaßte dort eher, dass der Schwarzwald wohl so eine Art unbesiedelter Yellowstone Park mit wilden Tieren sei. "Doch, doch, Menschen gibt es im Schwarzwald auch....!" Logisch, denn er kommt schließlich daher.... |  Die Olympia-Urkunde 1960 | 
| Flucht nach
        Skandinavien "Jörgeli, was hast denn Du da angerichtet!" wunderte sich damals seine rechtschaffene Mutter über den Menschenauflauf zuhause in Hinterzarten. Aber das war nur der Anfang.... Kostprobe gefällig? Neugierige Touristen und Sommerfrischler lauerten dem bescheidenen, aber populären Sportler des Jahres 1960 bei seinem damaligen Beruf als Briefträger rund um Hinterzarten auf. Fotos alleine, mit den Verehrern, mit deren Mutter im oder dem Baby auf dem Arm, mit Kinderwagen, Hund streichelnd oder sonst was auf dem Erinnerungsfoto... Lächeln immer nur lächeln, Georg! Er wurde mit seiner Arbeit fast nicht mehr fertig. Waschkörbeweise kam die Autogrammpost, unmöglich alles zu beantworten. "Guck mal Georg, der Brief ist doch auch so schön formuliert, da muss man doch etwas antworten.....!" erinnert er sich. Seine Mutter soll den größten Teil erledigt haben. Mühsam musste der freundliche Georg lernen auch nein sagen zu können. Er bat um Beurlaubung beim Postminister und verkroch sich mit Skiern bewaffnet nach Skandinavien, wo er ungestört trainieren konnte. Man war dort ein erfolgreicher Sportler unter vielen. Resultat der Ruhe: dreimaliger Sieg in Folge bei den Weltmeisterschaften auf dem legendären Holmenkollen. Empfang beim König und jedesmal der Königspokal... |  Georg Thoma als Briefträger | 
| Den VIPs misstrauen - die Jungen versäckeln Noch heute
        ist der freundliche und offene Georg im Kern noch immer
        etwas menschenscheu. Der schnörkellose Naturbursche hat
        seinen gesunden Instinkt, seine intuitive Urteilskraft
        bewahrt und sich auch von Niemandem verbiegen lassen. Als
        inoffizieller Sportbotschafter für Hinterzarten und den
        Schwarzwald hat der Onkel des späteren
        Weltklassespringers Dieter Thoma immer noch Probleme mit
        den sogenannten "VIPs", vor allem dann, wenn
        die nur Champagner schlürfen und überhaupt keine Ahnung
        von Sport haben. Georg hielt sich auch nach seiner
        Weltklassekarriere weiter fit. Mit fast 50 Jahren
        versäckelte er damals Spitzensportler, wie das
        Hinterzartener Ausdauerwunder Charly
        Doll oder den
        deutschen Skilanglaufmeister Eddy König beim sehr
        schweren Schwarzwälder 100 Kilometer Skimarathon vom
        Schonach zum Belchen. Doll, der fast sein Sohn hätte
        sein können, trieb Thoma dabei bis zum Äußersten, aber
        die bessere Abfahrtstechnik bei dem sehr bergigen Kurs
        entschied für den erfahrenen Älteren. Bis heute halten
        beide freundschaftlich verbundenen Kontrahenten die
        schnellsten Zeiten.  |  Georg Thoma als Sportler des Jahres zusammen mit Ingrid Krämer (DDR) 
 | 
| Die Wurzeln des Erfolges Georg Thoma
        hat auch ohne Profigagen, die es zu seiner Zeit gar nicht
        gab, seinen Namen bis heute hoch gehalten. Nicht durch
        Skandale oder lautes Mediengetöse wie viele andere,
        sondern durch seine leise, ehrliche, authentische und
        bescheidene Art. Der Mann ist eben eine lebende Legende.
        Sein Auskommen hat er neben seinen früheren beruflichen
        Tätigkeiten auch bis heute als Repräsentant und
        Referent gefunden, der Botschaften hat und dem man
        andächtig lauschen mag. Bei seinen
        Motivationsvorträgen, die bis in die sogenannte
        "gute alte Zeit" zurückreichen, die aber nicht
        immer so romantisch und urig war, wie es auf jüngere
        Zuhörer heute wirken könnte, geht er im Kern auch auf
        die Wurzeln des Erfolges ein. Seine sportliche Karriere
        ist keineswegs die eines satten Wohlstandkindes, sondern
        eines aus allereinfachsten und ärmlichen Verhältnissen
        stammenden Hirtenbuben, der sich mit Talent und
        Willensstärke bis zum Olympiasieg, Weltmeisterschaft und
        Bundesverdienstkreuz hocharbeiten konnte. Er wollte etwas
        beweisen, vielleicht, dass der "nur" 1,62 Meter große Georg, der
        Zweitjüngste in der Familie doch etwas auf dem Kasten
        hat oder, dass die feinen Herren vom Parkhotel Adler noch
        irgendwann mal ganz schön blöd aus der Wäsche gucken
        sollten, was der mistfüßige underdog zustande
        bringen kann. Topleistungen entstehen meistens aus Hunger
        und den hatte das Kriegskind Thoma notgedrungen so oder
        so. Er hat es mit einfachsten Mitteln geschafft etwas auf
        die Beine zu stellen. So wie die leistungshungrigen
        Kenianer, die sich über Sport auch noch etwas erlaufen
        können... |  Über Georg Thoma wurden Bücher geschrieben und sein Leben wurde mehrfach verfilmt. | 
| Initiator des Schwarzwälder Skimuseums Georg hat
        aber nicht nur für sich etwas geschaffen, sondern ein
        Teil seines Lebenswerks ist auch das Schwarzwälder
        Skimuseum, das stilecht in einem alten Schwarzwaldhof
        seine Stätte gefunden hat. Als dessen unermüdlicher
        Initiator hat er über viele Jahre seiner Heimatgemeinde
        Hinterzarten einen wahren Heiligenschrein, eine
        Aservatenkammer der Schwarzwälder Skigeschichte
        beschert. Die "Skireliquien" reichen von den
        allerersten Holzski mit "Knochenbrecherbindung"
        aus dem vorletzten Jahrhundert, aus den Ursprüngen der
        Skigeschichte in Deutschland, über seine
        Olympiagoldmedaille und Königspokale bis hin zu den
        modernen Kunststoff-Flugbrettern der jüngeren Generation
        der (neu-) Hinterzartener Springer wie Dieter Thoma oder
        Sven Hannawald. Auch Original Interviews von den
        Olympischen Spielen 1960 sind als Tondokumente aus einem
        zeitgenössischen Radio zu hören. Das Schwarzwälder
        Skimuseum ist für einen Sportfan mittlerweile neben den
        vier Sprungschanzen, dem Wahrzeichen Hinterzartens, das
        Aushängeschild der Schwarzwaldgemeinde. |  Skigeschichte im Schwarzwald | 
| Mit 70 Jahren noch Mountainbike Rennen Achtmal war
        Georg Thoma auch Seniorenweltmeister. Am liebsten ist er
        auch mit 70 Jahren noch täglich  im Winter auf
        Brettern oder im Sommer auf dem Mountainbike im
        Schwarzwald unterwegs. Zwar meldet sich schon mal der
        Rücken, aber ohne Sport kann man sich Georg Thoma
        einfach nicht vorstellen. Dabei ist er immer noch so fit,
        dass er viele junge, gut trainierte Mountainbiker hinter
        sich lässt. Wenn er in meinen Seminaren Mountainbike Führungen übernahm,
        bat er mich immer, ihm eine richtig gute Truppe zu geben
        mit der er ordentlich zufahren könne. Bei diversen
        Mountainbike Klassikern, wie dem Kirchzartener Ultrabike
        Marathon Rennen, der einige tausend Höhenmeter aufweist,
        gewinnt er noch immer seine Altersklasse und mischt dabei
        eher noch im vorderen Gesamtfeld mit. Und
        selbstverständlich kennt er, wenn er nicht gerade eifrig
        trainiert, auch heute die besten Pilzsammelstellen in
        seiner Heimat. Das Mountainbike sogar mal in die Ecke zu
        stellen, ist ihm dann schon ein richtiger Pfifferling
        wert! |  Ganz weit draussen..., hier irgendwo liegen die Wurzeln des Erfolgs... |